Tag 4: Auch gute Tage haben ihre Schwachstellen
Um vier Uhr bin ich letzte Nacht wach geworden und konnte lange nicht einschlafen. Als der Wecker um viertel nach sechs klingelt, komme ich kurz in Versuchung liegen zu bleiben. Doch mein Pflichtgefühl ist immer noch groß und so schleppe ich mich unter die Dusche und anschließend zum Frühstück. Danach auf zur Morgenrunde. Die behandelnden Therapeuten bringen dort unter Anderem eventuelle Änderungen im Tagesablauf vor. Auch ist das eine Gelegenheit persönliche Anliegen zu kommunizieren. Darauf folgt die Covid Testung, die zweimal in der Woche stattfindet. In der Einführungsstunde Ergotherapie erklärt uns die Therapeutin die verschiedenen Möglichkeiten des kreativ seins, die wir haben. Ich mag es nicht in dieser Form kreativ zu sein. Mit Holz, Ton oder Speckstein zu arbeiten ist nichts für einen Grobmotoriker wie mich. Deshalb entscheide ich mich für das meditative Malen.
Zwischenzeitlich bekomme ich eine Schreckensmeldung per WhatsApp. Irgend so ein Scheißkerl bzw. Weib gibt sich als mein Sohn aus und möchte, dass ich ihm 1.670,- überweise. Die Nachricht ist so fingiert, dass ich kurz glaube was da steht. Beim Kauf der Waschmaschine, für die das Geld unter anderem gedacht sei werde ich dann stutzig und rufe meinen Sohn an. Schnell kann er mich beruhigen. Erst mal durchatmen. Ich hoffe das Karma findet diese Person.
Das Essen sieht heute für mich das erste Mal richtig gut aus: Gedünstetes Fenchel/Möhrengemüse mit Fisch und Kartoffeln. Vom Salatbuffet nehme ich mir die rote Beete. Was schmecke ich? Leider nur sauer und salzig. Gestern hatte ich vergessen zu erwähnen, dass ich die Olive im Salat geschmeckt habe. Das hatte mir Hoffnung darauf gemacht, dass mein Geschmack zu mir zurück findet. Leider ist dem noch nicht so. Ok, weiterhin also in Geduld üben.
Am Nachmittag, noch die Einführung in die Ergotherapie und das Sportseminar. Darin geht es um die Fähigkeit Kopf und Koordination zusammenzubringen, kurz erklärt. Wir haben viel zu lachen. Mir fällt auf, dass es das erste Mal seit meiner Ankunft hier ist, dass ich herzhaft lache. Wie schön. Ich freue mich darüber. Gleichzeitig kann ich aus dem Augenwinkel eine Frau erkennen, die so aussieht als würde sie gleich weinen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich heute einen guten Tag habe.
Gleich geht es noch mit unserer Vierer Frauengruppe zum Tanzen. Danach zum Abendessen. Die Anderen machen sich noch zu einem Spaziergang auf, mit Einkehr im Gasthaus am Park. Ich hatte fest vor mitzugehen, doch mein Magen spielt immer noch verrückt. Mir ist einfach nicht wohl genug zum fröhlichen Beisammensein. Meine alte Freundin, die Angst meldet sich und fragt an, ob ich mir denn keine Sorgen deswegen mache. Doch, mache ich. Da ich die Probleme schon vor der Reha hatte, kann es nicht an der Umstellung liegen. Am Montag werde ich mit dem Arzt sprechen. Bis dahin heißt es abwarten und Tee trinken. Und so sitze ich nun etwas verloren in meinem Zimmer und schreibe die letzten Zeilen des heutigen Blog.
Fazit des Tages: Wo Schatten ist, ist auch Licht!
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Kommentare
Erinnert mich an meine psychosomatische Reha, und ich möchte, nach zehn Jahren mittlerweile, auch nochmal eine nachlegen. Bin heute wesentlich präsenter im Leben als ich es damals war, und es würde nicht mehr nur zur Schadensbegrenzung dienen, sondern zur Perspektivenerweiterung. Ein schöner Gedanke. Finde es auch spannend, Dir zu folgen bei Deinen Erlebnissen.